Als sich im Frühjahr 1948 in dem kleinen Ort Gessenhausen bei Tengling sieben unternehmungslustige, junge Männer zusammenfanden, um miteinander Musik zu machen, da konnte keiner ahnen, dass sich daraus ein Qualitätsbegriff entwickeln würde, der inzwischen seit mehr als 60 Jahren währt.
Aus heutiger Sicht erscheint es erstaunlich, was diese kleine, mutige Schar unternahm: Motiviert durch den Hornisten Walter Leinert, der als Heimatvertriebener nach der Kriegsgefangenschaft zufällig nach Gessenhausen gekommen war, gingen die übrigen jungen Leute im Herbst 1948 an die Gründung eines Orchesters, ohne dass einer bisher mit einem Blasinstrument über das Herumprobieren hinausgekommen wäre.
Und so hoben diese Männer die „Blaskapelle Gessenhausen“ aus der Taufe: Walter Leinert, Johann Unterreiner, Franz Mayer, Heinrich Mayer, Stefan Fellner, Konrad Mayer, Albin Huber, Alois Huber, Matthias Parzinger und Erwin Hirschpoltner.
Walter Leinert, ein Vollblutmusikant aus dem Sudetenland, übernahm die Leitung als erster Kapellmeister und er war es auch, der die jungen Musiker „abrichtete“. Schnell machten sie Fortschritte, weil alle mit Begeisterung bei der Sache waren, und schon zu Weihnachten 1948 trat das kleine Blasorchester im Niederbuchner-Saal zum ersten Mal auf, als es die Pausenmusik während der Theater-Aufführungen des Arbeitervereins Tengling übernahm.
Mit der Freude über die gelungene Premiere allein aber war es nicht getan; wenn von Anfangsschwierigkeiten die Rede ist, muss man bedenken, dass die Gründung der Kapelle in die Nachkriegszeit fällt: auch nach der Währungsreform fehlte es an allem. An Instrumenten und Noten herrschte Mangel, ein Übungslokal musste gefunden werden. In dieser Lage sprang der Winklervater Franz Mayer sen. ein, dessen drei Söhne Gründungsmitglieder waren und der immer ein Herz für die Kapelle hatte. Er stellte Haus und Hof als Übungsstätte zur Verfügung und half den Musikern finanziell, wenn es darum ging, Noten und anderes Material zu besorgen. Einige Instrumente besaß Hans Unterreiner („Lenzn-Hans“), die übrigen wurden nach und nach von den Berghamern, einer aufgelösten früheren Blasmusik, gekauft.
Als im Jahr 1949 die Gemeinde Tengling ein großes Heimkehrerfest feierte, hatte die Blaskapelle Gessenhausen unter Walter Leinert ihren ersten großen Auftritt. Dabei half als Trommler Max König aus, der selbst schon vorher als Geiger eine kleine Musik gegründet hatte („Kapelle König“) und aus Schlesien stammte.
Höhepunkt des Jahres 1950 waren ein großer Flüchtlingsball und ein Sommerfest in Fisching bei Tengling. Nach Berichten von Ohrenzeugen waren das große Erfolge für die Musiker.
1952 übernahm der „König Max“ als Kapellmeister die Leitung der Blasmusik. Zu diesem Anlass hatte er von den Winkler-Brüdern (Mayer) ein Tenorhorn geschenkt bekommen, das er dann jahrzehntelang blies. Max König leitete die Blaskapelle 26 Jahre lang. Er setzte die Aufbauarbeit von Walter Leinert fort und führte die Tenglinger Musiker im Laufe der Jahre zu allseits anerkannten Leistungen.
Im Jahr 1952 nahm das Leben des Gründungsmitglieds Heinrich Mayer durch einen Motorradunfall ein jähes Ende. Dies bedeutete einen schmerzlichen Verlust, dennoch musste das Leben weitergehen.
Und da zeigte sich, dass die Blaskapelle Gessenhausen inzwischen auf die Musiker aus den Nachbargemeinde Taching eine große Anziehungskraft ausübte. Zusammen mit den „Alten“ prägen diese Musikanten bis heute das Gesicht der Kapelle.
Im Jahre 1959 bekam das Orchester ein neues Domizil beim Neuwirt in Tengling, wo es sich besser entfalten konnte. Als die Musiker beim Georgiritt in Tittmoning spielten und wegen ihres unbekannten Namens Gessenhausen für Österreicher angesehen wurden, festigte sich der Entschluss: „Jetzt taufen wir uns um“ – und seit 1960 heißt, die Musik „Blaskapelle Tengling“. Damit hatte – obwohl ansonsten immer viel gesungen und musiziert worden war – der Ort Tengling in seiner über 1200-jährigen Geschichte zum ersten Mal eine Blechmusik.
Die 60er Jahre brachten der Kapelle auch die ersten „Auslandserfolge“: Im Oktober ging es im ersten „Auswärtsspiel“ zu den „Preußen“ nach Bochum, wo man bei einem Platzkonzert und einem Heimatabend großen Zulauf hatte und etwas für den heimischen Fremdenverkehr tun konnte.
Im Oktober 1962 wurde die erste einheitliche Tracht mit Bundhose und Janker angeschafft.
Die Fahrten nach Bergün im Engadin sind allen, die dabei waren, noch heute unvergesslich.
Erwin Hirschpoltner hatte mit dem Präsidenten der dortigen Blasmusik Felix Caplazi den Kontakt hergestellt und im Mai 1963 konnte die erste Reise in die Schweiz stattfinden. Bis 1977 folgten drei Weitere.
Jeder dieser Ausflüge war ein voller Erfolg, denn die Kapelle verstand es jedes Mal, durch zündende Melodien die Stimmung im überfüllten Saal anzuheizen. Auch die Gegenbesuche der Schweizer waren für Tengling stets ein großes Fest, und das musikalische Feuer hielt meist bis in die Morgenstunden an.
Mit dem Tod von Felix Caplazi im Jahre 1983 sind leider die gegenseitigen Kontakte der beiden Blaskapellen eingeschlafen.
Anfang März 1964 konnte man in der „Laufener Kreiszeitung“ über eine Versammlung lesen: „Kapellmeister König schilderte den Werdegang der Blaskapelle Tengling seit seiner Gründung. Harte Arbeit hätte man leisten müssen, bis die Kapelle ihren heutigen Stand erreicht hätte. Sie genieße jetzt nicht nur in Tengling und im engeren Umkreis, sondern auch über die Grenzen des Landkreises hinaus einen ausgezeichneten Ruf.
Nach den Ausführungen des Kapellmeisters fehle es jedoch an Nachwuchskräften. Da von der Kapelle die großen Aufgaben allein nicht mehr bewältigt werden können, entschloss man sich, einen Musikverein zu gründen.
Mehr als 100 Personen erklärten sofort ihren Beitritt zu dem neugegründeten Verein. Der Jahresbeitrag wurde auf 3 DM festgesetzt.“
Damit hatte Tengling seit dem 29. Februar 1964 einen Musikverein, dessen erster Vorstand Bürgermeister und Chorregent Martin Mayr wurde.
Als Ziel dieses Vereins wurde angegeben die „Förderung der Musik und des Gesanges, sowie der Geselligkeit und die Heranbildung junger Leute zu Musikern und Sängern“. Der offizielle Name der Tenglinger Kapelle lautete nun „Musikvereinskapelle Tengling“.
Als im Jahre 1973 das 25jährige Bestehen der Kapelle gefeiert werden sollte, lud der Musikverein zu einem Musikfest ein, das am 2./3. Juni 1973 begangen wurde.
Das Jahr 1978 brachte für die Blaskapelle Tengling einen weiteren Einschnitt: Im April diesen Jahres übernahm Konrad Waldherr, der seit 1961 dem Orchester angehörte, die Leitung der Tenglinger Blasmusik. Wie seine Vorgänger prägte auch er im Laufe der Jahre die Kapelle durch seinen musikalischen Stil. Bei der Übergabe spielten etwa 18 Musikanten in der Kapelle.
Vor allem die alljährlichen, nun schon zur Tradition gewordenen Frühjahrskonzerte, lockten viele Zuhörer aus der ganzen Umgebung an.
Vorstand Martin Mayr konnte 1982 feststellen: „Dieses Konzert war eines der besten in unserer Vereinsgeschichte. Den Gästen und Besuchern aus nah und fern hat es einmalig gut gefallen“.
Gelobt wird insbesondere die Fähigkeit der Musiker, eine klassische Ouvertüre ebenso schwungvoll darzubieten wie eine böhmische Polka, ein Big-Band-Stück genauso mitreißend zu interpretieren wie einen bayrischen Marsch.
So ist es kein Wunder, dass die Tenglinger sich um Engagements nicht zu sorgen brauchten.
Ein Protokoll berichtet:
„Am 15.8.1980 hat unsere Kapelle am 60jährigen Gründungsfest der Blaskapelle Kirchanschöring teilgenommen. Unsere Kapelle war an diesem Tage ganz schön gefordert.
Sie konnte nicht einmal am Ehrenspiel teilnehmen, weil unsere Musiker bereits um 14 Uhr beim Volksfest in Traunstein spielen mussten. Es hat gerade noch zu einem eiligen Mittagessen gereicht“.
Das Jahr 1985 klang für die Tenglinger Blaskapelle nach intensiver Probenarbeit mit einem weiteren Höhepunkt aus: In der bekannten Serie „An hellen Tagen“ hatte sie an Silvester ihren ersten Fernsehauftritt, als sie die Blasmusik-Tradition des Chiemgaus repräsentieren durfte.
Im Jahr 1986 wurde Alfons Hieber als neuer Vorstand des Musikvereins gewählt. Während seiner 21-jährigen Amtszeit sorgte er in enger Zusammenarbeit mit dem Musikmeister dafür, dass einem um die Zukunft der Kapelle nicht bang zu sein brauchte.
1988 feierte die Musikkapelle Tengling ihr 40-jähriges Jubiläum in Verbindung mit dem Bezirksmusikfest.
Der große Erfolg ließ sich schon darin ablesen, dass beim Weinfest mit den sehr populären
„3 Z´widern“ ca. 1300 Flaschen Wein verkauft werden konnten.
Hans Schuster, ein Gründer dieser Band, ist ja auch heute noch Posaunist der Blaskapelle.
Da die bis dahin hauptsächlich für die Sommergäste veranstalteten Standkonzerte aufgegeben wurden, musste man eine neue Möglichkeit finden, die Bekanntheit und das hohe Niveau der Kapelle aufrecht zu erhalten.
Deshalb rief Konrad Waldherr in den 90-er Jahren eine bis heute sehr beliebte Veranstaltung ins Leben.
Die Kirchenkonzerte in der Kirche Maria Burg bei Tengling, die alljährlich in den Sommermonaten gespielt werden.
Der glänzende Erfolg gab ihm recht; zunächst „nur“ von etwa 40 Leuten besucht, finden sich heute zu den drei Konzerten jedes Jahr über 800 Besucher aus nah und fern ein, um einem anspruchsvollen Programm aus kirchlicher, klassischer und moderner Musik in der Kirche Maria Burg zu lauschen.
Zum 50jährigen Bestehen der Musikkapelle Tengling wurde im Jahr 1998 wieder erfolgreich ein großes Musikfest ausgerichtet.
Ein reibungsloser Übergang in der Vorstandschaft des Musikvereins vollzog sich im Jahr 2007: Hubert Fellner löste Alfons Hieber als Erster Vorstand ab und setzt sich seither äußerst engagiert für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Musikkapelle Tengling ein.
Die Mitgliederzahl wuchs dank der intensiven Werbung auf über 250, und neue Finanzquellen wurden erschlossen, so dass besonders die Jugendarbeit sehr gefördert werden konnte.
Nach 30 Jahren an der Spitze der Kapelle schied Konrad Waldherr im Jahr 2008 als Dirigent und Musikmeister aus. Die gewaltige Anteilnahme der Bevölkerung an der bewegenden Abschiedsfeier dieses Maßstäbe setzenden Dirigenten bewies, die hohe Wertschätzung, die sich Konrad Waldherr über Jahrzehnte erworben hat.
Er übergab den Taktstock an Armin Maiwälder, der seit über 10 Jahren als erster Flügelhornist der Kapelle angehört und seither die Geschicke des Orchesters bestimmt.
Derzeit besteht die Musikkapelle Tengling aus 33 Musikanten im Alter von 14 bis 80 Jahren.
Der Altersdurchschnitt beträgt 35 Jahre.
Diese Mischung aller Altersgruppen, der gute Nachwuchs und besonders auch die jungen Damen, die mit Freude, Begeisterung und Können dabei sind, sichern die Zukunft und das Fortbestehen der Musikkapelle Tengling.